Einleitung: Warum dieses Thema wichtig ist
Hüft- und Gesäßschmerzen sind weit verbreitet und werden oft dem sogenannten Piriformis-Syndrom zugeschrieben. Neuere wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen jedoch, dass die Beschwerden meist Teil des Deep Gluteal Syndrome (DGS) sind, einer Funktionsstörung im tiefen Gesäßbereich, die unter anderem durch eine Irritation des Ischiasnervs verursacht werden kann (Martin et al., 2022).
Menschen mit diesem Problem klagen häufig über ziehende Schmerzen im Gesäßbereich, die bis ins Bein ausstrahlen können. Auch langes Sitzen oder bestimmte Bewegungen können die Beschwerden verstärken.
In diesem Artikel erfährst du alles Wichtige zum Piriformis-Syndrom, seinen Ursachen, Symptomen und den besten Behandlungsmethoden. Zusätzlich klären wir über häufige Mythen auf und zeigen, welche langfristigen Folgen drohen, wenn keine Behandlung erfolgt.
Was ist das Piriformis-Syndrom?

Das Piriformis-Syndrom beschreibt eine Irritation des Ischiasnervs im Bereich des Gesäßes. Dabei kann der Piriformis-Muskel, ein tiefer Gesäßmuskel, eine Kompression oder Reizung des Nervs verursachen. In der modernen Wissenschaft wird dieser Zustand häufig als Teil des Deep Gluteal Syndrome (DGS) betrachtet, da weitere Strukturen beteiligt sein können (Hopayian & Song, 2021).
Ursache für das Piriformis-Syndrom
Das Piriformis-Syndrom ist eine Form des tiefen Glutealsyndroms (DGS), die durch eine Kompression des N. ischiadicus im Bereich des M. piriformis verursacht wird. Diese Kompression kann aus mehreren Gründen entstehen (Robinson, 1947):
- Muskuläre Hypertrophie des M. piriformis, die zu einer erhöhten Druckbelastung des Nervs führt.
- Dynamische Kompression: Der N. ischiadicus kann in bestimmten Bewegungspositionen oder bei wiederholten Belastungsmustern eingeengt werden.
- Anatomische Varianten: Bei manchen Menschen verläuft der N. ischiadicus atypisch durch oder um den M. piriformis herum, was das Risiko für eine Nervenkompression erhöht.
Diese Faktoren können einzeln oder kombiniert auftreten und zu einer mechanischen Irritation des N. ischiadicus führen, wodurch die typischen Symptome des Piriformis-Syndroms entstehen.

(a, b) Kompressive oder brückenartige Bänder, die die Bewegung des Ischiasnervs von vorne nach hinten (Typ 1A) oder von hinten nach vorne (Typ 1B) einschränken. (c, d) Adhäsive oder riemenartige Bänder (Typ 2), die sich fest an die Struktur des Ischiasnervs binden und ihn in eine einzige Richtung fixieren. Sie können seitlich (Typ 2A) oder medial (Typ 2B) mit dem Ischiasnerv verbunden sein. (Carro et el., 2016)
Typische Symptome & Diagnose
Häufige Symptome des Piriformis-Syndroms
Das Piriformis-Syndrom zeigt sich durch Schmerzen oder Beschwerden im Gesäßbereich (Glutealregion). Diese Schmerzen können in verschiedene Bereiche ausstrahlen, darunter die hintere Oberschenkelregion, das Perineum, die Leiste oder andere angrenzende Bereiche, abhängig davon, welcher Schmerzgenerator beteiligt ist (Martin et al., 2015; Smoll, 2010).
Die Symptome treten meist einseitig auf und werden durch folgende Faktoren typischerweise verstärkt:
- Hüftbeugung und Hüftrotation
- Längeres Sitzen
- Körperliche Aktivität
In selteneren Fällen kann das Syndrom beidseitig auftreten (Beaton & Anson, 1937). Zusätzlich können Taubheitsgefühle (Hypästhesie) oder Missempfindungen (Parästhesien) in der betroffenen unteren Extremität sowie im Gesäßbereich vorkommen (Benzon et al., 2013).
Diagnoseverfahren
- Palpationstest: Druck auf den Piriformis-Muskel löst Schmerzen aus (Stewart et al., 2020).
- Seated Piriformis Stretch Test & Active Piriformis Test: Die Kombination dieser beiden Tests hat eine Sensitivität von 91% und eine Spezifität von 80% für das endoskopische Finden einer Ischiasnerv-Einklemmung (Martin et al., 2014).
- Bildgebende Verfahren (MRT, Ultraschall): Zur Differenzierung von Bandscheibenproblemen oder anderen Ursachen.

Warum es nicht nur um die Schmerzen geht
Viele Betroffene glauben, dass das Piriformis-Syndrom nur eine muskuläre Verspannung ist, die sich durch einfache Dehnübungen lösen lässt. In Wirklichkeit handelt es sich häufig um eine komplexe Funktionsstörung, bei der mehrere Faktoren eine Rolle spielen.
Typische Fehlannahmen & Mythen
„Es reicht, den Piriformis-Muskel zu dehnen.“
→ Zu aggressives Dehnen kann die Reizung verstärken, insbesondere wenn eine Nervenkompression vorliegt (Hopayian & Song, 2021).
„Nur Sportler sind betroffen.“
→ Auch Menschen mit sitzenden Berufen leiden häufig unter dem Problem.
„Ein MRT zeigt immer die Ursache.“
→ Funktionelle Probleme sind auf Bildgebung oft nicht erkennbar, daher sind klinische Tests entscheidend.
Langfristige Folgen, wenn nichts unternommen wird
– Chronische Schmerzen, die sich über Monate oder Jahre hinziehen können.
– Eingeschränkte Mobilität im Alltag, was zu Schonhaltungen und weiteren Beschwerden führt.
– Sekundäre Probleme, wie Hüft- oder Knieprobleme durch veränderte Bewegungsmuster.
Die besten Lösungsansätze – Was hilft wirklich?
Bewegung & Training
– Gezieltes Krafttraining zur Verbesserung der Gesäßmuskulatur und Entlastung des Ischiasnervs (Martin et al., 2022).
– Mobilitätsübungen, die Beweglichkeit verbessern und dem Körper zeigen das Bewegung möglich ist.
– Dosierte Bewegung, um den Muskel nicht weiter zu irritieren und dem Körper zu zeigen das Bewegung möglich ist.
Physiotherapie & Behandlung
– Manuelle Therapie, um die Beweglichkeit zu verbessern bei starken Schmerzen
– Dry Needling oder Stoßwellentherapie zur gezielten Muskelentspannung und/oder Schmerzlinderung (Stewart et al., 2020).
– Neurodynamische Übungen, um den Ischiasnerv beweglicher zu machen.
Passive Behandlungsmethoden sind oftmals für kurzzeitige positive Effekte ideal geeignet, um die Betroffenen in eine aktive Behandlung zu überführen. Passive Behandlungen können immer unterstützend eingesetzt werden, ersetze jedoch die aktive Behandlung nicht.
Alltagstipps & Lebensstil
– Längeres Sitzen vermeiden, regelmäßige Positionswechsel einbauen.
– Wärme- und Kältetherapie, je nach individueller Reaktion ausprobieren.
– Alltagsbewegungen anpassen, Tiefe Hüftbeugungen vermeiden.
Typische Fehler & Fallstricke – Was man vermeiden sollte
– Zu frühes, intensives Dehnen → Kann die Beschwerden verstärken.
– Vollständige Inaktivität → Bewegung ist wichtig für die Heilung.
– Alleiniges Vertrauen auf passive Maßnahmen → Langfristig hilft nur eine aktive Therapie.
Fazit: Dein erster Schritt zur Besserung
Das Piriformis-Syndrom ist oft ein komplexes Problem, das als Teil des Deep Gluteal Syndrome (DGS) betrachtet werden sollte. Eine gezielte Behandlung aus Physiotherapie, Krafttraining und einer Anpassung der Alltagsgewohnheiten kann langfristig helfen.
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Literaturverzeichnis
Beaton, L. E., & Anson, B. J. (1937). The relation of the sciatic nerve and of its subdivisions to the piriformis muscle. The Anatomical Record, 70(1), 1-5. https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/ar.1090700102
Benzon, H. T., Katz, J. A., Benzon, H. A., & Iqbal, M. S. (2013). Piriformis syndrome: Anatomic considerations, a new injection technique, and review of the literature. Anesthesiology, 119(6), 1305-1312. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/12766656/
Carro LP, Hernando MF, Cerezal L, Navarro IS, Fernandez AA, Castillo AO. Deep gluteal space problems: piriformis syndrome, ischiofemoral impingement and sciatic nerve release. Muscles Ligaments Tendons J. 2016;6(3):384-396. https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC5193530/
Chamberlain R. Hip Pain in Adults: Evaluation and Differential Diagnosis. Am Fam Physician. 2021 Jan 15;103(2):81-89. Erratum in: Am Fam Physician. 2021 Mar 1;103(5):263. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33448767/
Hopayian, K., & Song, F. (2021). The evidence for the effectiveness of manual therapy in treating piriformis syndrome. Journal of Manual & Manipulative Therapy.
Martin, H. D., Kivlan, B. R., Palmer, I. J., & Martin, R. L. (2014). Diagnostic accuracy of clinical tests for sciatic nerve entrapment in the gluteal region. Knee surgery, sports traumatology, arthroscopy : official journal of the ESSKA, 22(4), 882–888. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/24217716/
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Smoll, N. R. (2010). Variations of the piriformis and sciatic nerve with clinical consequences: A review. Clinical Anatomy, 23(1), 8-17. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/19998490/
Stewart, K., Elliot, J., & Bell, S. (2020). The role of neurodynamic testing in piriformis syndrome diagnosis. Clinical Biomechanics.